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Die lächerliche Finsternis

Szenisches Konzert nach einem Hörspieltext von Wolfram Lotz für sechs Schauspieler_innen und drei Musiker

Theater St.Gallen | Lokremise

«Die lächerliche Finsternis» stand auf der Shortlist des Schweizer Theatertreffens 2021.

© Fotos: Iko Freese / drama-berlin.de

Team

Regie: Jonas Knecht
Ausstattung: Markus Karner
Dramaturgie: Stefan Späti
Sounddesign: Albrecht Ziepert
Live-Musik: Andi Peter, Martin Flüge, Nico Feer
Assistenz und Abendspielleitung: Anja Schönwald, Jonas Bernetta
Soufflage: Birgit Limmer

Spiel: Anna Blumer, Birgit Bücker, Jeanne Le Moign, Anja Tobler, Moritz Bürge, Fabian Müller

Premiere war am 9.12.2020 und WA-Premiere am 18.12.2021

Presse

Daniele Muscionico meint in der NZZ vom 14.12.2020:
[…] Drumpads, Loop- und Effektgeräte sind die Urheber, aber auch einfache Dosen, Löffel und Pinsel. Damit schaffen Bühnenmusiker phantastische Live-Klang-Landschaften, Erlebnisräume und die Intensität einer Kopfreise über alle Zeit- und Geografiegrenzen: «Die lächerliche Finsternis» nach Wolfram Lotz ist die letzte Premiere dieses strapazierten und strapaziösen Theaterjahres. Sie wird in St.Gallen im Sounddesign von Albrecht Ziepert zur szenisch-akustischen Geisterbahnfahrt und zu einer Safari ins eigene Körperinnere. Theater ist, was es am Theater St.Gallen ist: eine Reise in die eigene Phantasie – von der man nicht mehr heimkehren möchte.
Dies möglich machen der Schauspieldirektor Jonas Knecht und ein hochmotiviertes Ensemble. Just am Tage vor dem Lockdown, der seit Samstag auch für Schweizer Bühnen gilt, glückt ihm und seiner Truppe zur verordneten Spielpause ein szenisches Konzert, ein Abschied vor der grossen Stille, der in seiner Schönheit beinahe schmerzhaft ist. Der Bühnenbildner Markus Karner hat eine Art von überzeitlich trostlosem Flüchtlingslager, ein Ruinen-Provisorium gebaut, und das Ensemble spielt in Mehrfachrollen leicht und leidenschaftlich auch für nur 50 Zuschauer. […]
Knechts verinnerlichte und hoch-poetische Lesart zeigt auf eine stupende Weise, wie Menschen Unbekanntes zu bannen versuchen. Hier ist es die Natur, das sogenannte Wilde: mithilfe von Einbildung und Wahn nämlich. Diesem Anderen, Bedrohlichen heute «Covid» zu sagen, liegt nahe. Doch Theater muss das Fremde nicht benennen. Es hat dafür einen simplen Begriff bereit – die Kraft unserer Imagination.

Peter Surber sieht im Ostschweizer Kulturmagazin Saiten unsere Inszenierung so:
[…] In Lotz’ Welt ist Krieg – in den Köpfen, in den Geschichten, im mörderischen Zusammenprall von Tragischem und Trivialem. In der St.Galler Inszenierung gewinnen aber die Zwischentöne diesen Krieg. Weite Strecken des Stücks hört man sich über Kopfhörer an. Subtilste Stimmschwankungen, Flüstern und Beben werden so hörbar in einer Transparenz, wie sie auf der Bühne nie zu erreichen ist. Die Inszenierung feiert die Stimme in ihrer Sinnlichkeit und Poesie – und erst noch aerosolfrei.
Die urwaldig wuchernde Geräuschkulisse dazu kommt von den drei Musikern Nico Feer, Martin Flüge und Andi Peter. Ihr Instrumentarium ist von der E-Gitarre bis zur Bohrmaschine ein unerschöpfliches Arsenal an Materialien zur Weckung der Klangfantasie und zur Befreiung der Ohrgänge vor dem Geschrei der Vereinfacher allenthalben.
Das Leitungsteam, Regisseur Jonas Knecht, Ausstatter Markus Karner und Sounddesigner Albrecht Ziepert, arbeitet mit Materialien des «armen Theaters», aber zugleich mit einer Fülle an technischen Raffinessen und Einfällen. Es setzt das Publikum selber der wachsenden Nebligkeit und Bedrohlichkeit dieses surrealen Trips aus, bis dieser für Momente «auf entsetzlichste Weise real» wird – bevor uns dann der nächste Schlenker des Autors wieder ins banale Hier und Jetzt zurückholt. […]

Brigitte Schmid-Gugler schreibt im März-Heft 2021 von Theater der Zeit:
[…] Gerade noch gelingt inmitten dieser sonderbar viralen Ungemütlichkeit ein Streich der Superlative. Und richtiggehend verklärt verlässt man den wunderbaren Theaterraum, schwankend, ein bisschen wie in einem Boot. Oder in einem Kanu, wie es – purpurrot – auf der Bühne steht, dann wieder liegt und nicht nur als Requisit an den Ostschweizer Künstler Roman Signer erinnert: Auch er ist einer wie Lotz, ein humoriger Melancholiker, der gern im Wasser mit dem Feuer der Unwäg­barkeit spielt.
So darf also Theater sein: so behände an den Rissen, den Verwerfungen entlang inszeniert, dass die Harmlosigkeit von selbst das Weite sucht. Das von Wolfram Lotz ursprünglich als Hörspiel angelegte Stück ist hier in einer Mischform aus Musik- und Sprechtheater zu erleben; längere Passagen sind über Kopfhörer zu hören. Das Wechselspiel von sehendem Hören und hörendem Sehen zieht die Sinne in einen Wahnstrudel; man scheint selbst Teil dessen zu sein, was sich dort im überhitzten Niemandsland ereignet. […]
In Lotz’ Text gibt es nur männliche ­Rollen; Knecht besetzt, wie es seinerzeit auch an der Wiener Burg der Fall gewesen ist, die meisten mit Frauen. Die Mitglieder des ­Damenensembles zeichnen die „Zerwürfnisse“ in den Männerköpfen menschlich-­ironisch. Bühnenbildner Markus Karner hat ihnen eine Art Weltbaustelle aus Holzverschlägen gezimmert. Und wo vermeintliche Gewissheiten derart dürftig verschraubt sind, kann auch hinter einer Plastikfolie der Wahnsinn lauern. Solide gebaut sind einzig die Podeste für die drei Live-Musiker. In den Sound von harten Riffs und weich Geklimpertem mischt sich noch die Stimme des Autors, der in seiner Vorlage genau das beschreibt, was hier geschieht: Alles Lineare ist aufgebrochen, ausgetrickst. Die Bilder hängen falsch herum. Es gibt keinen Plan, denn alles wartet darauf, sich in einer Endlosschleife zu wiederholen. Lotz lädt ein zu Um- und Weiterschreibungen. Jonas Knecht, längst bekannt und viel gelobt für seine Live-Hörspiel-Produktionen, nimmt die Aufforderung wörtlich. Die Setzungen tragen seine schnörkellose Handschrift, es ist eine mit feinem Gespür für Nuancen, Gesten und für Wolfram Lotz’ künstlerischen Fatalismus.

Das St.Galler Tagblatt (Bettina Kugler) berichtet am 10.12.2020:
[…] Mag es auch manchmal laut werden, etwa beim Buschgottesdienst von Reverend Lyle Carter (Anja Tobler), zu dem die quer im Saal verstreuten Livemusiker Nico Feer, Martin Flüge und Andi Peter saftig zupacken: Das Gehör ist ansonsten eher auf feinste Zwischentöne und Störgeräusche eingestellt – wie auf einer Expedition in dunkles, unbekanntes Gelände. Kaum setzt man als Zuschauerin die Kopfhörer auf, bekommt die sich dauernd entziehende, abschweifende Geschichte einen geheimnisvollen Sog; die Stimmen nisten sich fast obsessiv im Ohr ein. […]
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Trailer